Interview von François Bausch mit dem Tageblatt

"Wir können eine bessere und höhere Lebensqualität erreichen, wenn wir gut planen"

Interview: Tageblatt (Claude Clemens)

Tageblatt: Wenn es bei Ihrem Eintritt in die Regierung das Nachhaltigkeitsministerium nicht gegeben hätte und Sie hätten wählen müssen: Hätten Sie sich für Umwelt, Transport oder öffentliche Bauten entschieden?

François Bausch:Ich hätte dann das Nachhaltigkeitsministerium geschaffen bzw. den Vorschlag dazu gemacht! Diese Aufteilung ist jetzt: Umwelt und Wasser für Carole Dieschbourg, ich kümmere mich um Landesplanung, öffentliche Bauten und Transport, und Staatssekretär Camille Gira unterstützt uns.

Die Bündelung ist auf jeden Fall sinnvoll, der "Konflikt" zwischen Umwelt und Infrastruktur muss aufgehoben werden. Das Ministerium war eine gute Idee; was meiner Meinung nach jetzt besser funktioniert, ist die horizontale und transversale Zusammenarbeit. Denn eigentlich sind es ja fünf Ministerien. Wir drei haben regelmäßige Sitzungen, und auch alle Verwaltungen sitzen regelmäßig auf verschiedenen Ebenen an einem Tisch. Das kommt beispielsweise beim Bausektor sehr gut an, der uns kürzlich bescheinigte, dass derzeit alles sehr schnell gehe. Auch der jetzt vorliegende Vorschlag des Flächenpoolings für Kompensationsmaßnahmen kommt gut an.

Wir Grünen haben immer für so ein Ministerium gekämpft, und es hat sich bestätigt, dass dies eine gute Sache ist.

Tageblatt: Ist der Begriff "Nachhaltigkeit" mittlerweile nicht überstrapaziert?

François Bausch:Ja, er wird zu viel benutzt. Man muss ihn mit Inhalten füllen. Landesplanung muss ganz einfach eng verknüpft sein mit Straßenbau, Transport usw. Wir können eine bessere und höhere Lebensqualität erreichen, wenn wir gut planen.

Tageblatt:Gab es für Sie einen noch unangenehmeren Moment als die Einweihung der Nordstraße?

François Bausch: Das war eindeutig der schwierigste. Ich stehe zu meiner Vergangenheit, das habe ich in meiner Rede auch gesagt. Aber es war Zeit, abzuschließen. Es war emotional, es war in Luxemburg der größte Eingriff in die Natur der letzten 30, 40 Jahre. Vieles, wovor die Naturschutzvereinigungen gewarnt hatten, trat ja auch ein; z.B. gab es beim Tunnelbau Probleme wegen Quellen.

Fehler, die gemacht wurden, werden auch nicht mehr wiederholt. Obligatorische Kompensierungsmaßnahmen beispielsweise sind noch immer nicht gemacht. Derzeit ist es ja so, dass dies schon vor den eigentlichen Bauprojekten gemacht wird. Die Tram beispielsweise, da ist bereits alles kompensiert.

Ich bin also froh, dass die Nordstraße fertig ist. Aber das eigentliche Problem, das haben wir damit nicht gelöst, und das sind die Autobewegungen.

In den letzten 20 Jahren haben wir einen enormen Rückstand im öffentlichen Transport angehäuft. Diesen Rückstand abzubauen, daran arbeiten wir, und das geht auch sehr schnell. Alleine die Investitionsausgaben zeigen dies, es fließt nun wesentlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße (die entsprechende Auflistung hatte Bausch für das Interview vorbereitet / siehe Tabelle, Anm. d. Red.).

Beispiel: die Haltestelle Pfaffenthal und die Standseilbahn. Das ist ja ein kompliziertes Projekt, aber es ging in anderthalb Monaten durch alle Prozeduren, und ich habe die CFL beauftragt: kürzt mir den Zeitraum der Fertigstellung noch um anderthalb Jahre. Auch das war möglich. Und dieses Projekt, da bin ich mir sicher, das wird mehr Zeitersparnis bringen als die Nordstraße. Auch der Zeitplan für die Tram ist sehr sportlich, aber auch da liegen wir voll im Soll.

Wenn 2021 alles fertig ist, die Tram, die "pôles d'échange", die P&R-Parkplätze, der doppelspurige Ausbau der Bahnstrecke nach Bettemburg, alles, was mit "mobilité douce" zu tun hat, dann wird man die wirklichen Auswirkungen sehen. Alle diese Investitionen hätten früher gemacht werden müssen.

Der Ban de Gasperich ist ein Paradebeispiel: Dieser wurde beschlossen, ohne dass der öffentliche Transport mitgeplant war. Dabei ist die Mobilität hier extrem wichtig. Ohne die neue Nationalstraße N3 wäre das Erschließen des Viertels für die Tram gar nicht möglich. Als ich ins Ministerium kam, lag für das N3-Projekt... nichts vor. Das Projekt wurde erstellt und durchlief dann in einem Monat alle Prozeduren. Solche Projekte werden aber Probleme lösen. Anderes Negativbeispiel: die "Zone d'activité" in Contern als Logistikstandort... mitten in der "Pampa", ohne Anschlüsse, nichts...

Tageblatt: Gehen Sie noch ruhigen Gewissens auf einen "déi gréng"-Kongress?

François Bausch: Ich gehe mit einem ganz guten Gewissen dorthin. Was "déi gréng" sich vorgenommen haben, bzw. was im Koalitionsprogramm steht - das ist ja ein Kompromiss -, das ist entweder umgesetzt oder dabei, umgesetzt zu werden. Und zwar 1:1.

Ich bin selbst positiv überrascht über die Gestaltungsmöglichkeiten eines Ministers. Und ich habe hier im Ministerium sehr motivierte Leute angetroffen. Ohne Parteikarten. Manchmal mache ich sie nur etwas nervös mit meiner Ungeduld, weil es mir trotzdem noch nicht schnell genug geht (lacht).

Es macht ganz einfach Spaß. Ich war ja acht Jahre Schöffe in der Hauptstadt; ich hatte befürchtet, in einem Ministerium würde alles langsamer vonstatten gehen. Aber ich habe festgestellt, wenn der politische Wille da ist, geht es auch voran! Und wenn man Minister ist, muss man die Parteizugehörigkeit ja auch in den Schrank stellen. Es geht um die Interessen des Landes, und es gilt, das Koalitionsprogramm umzusetzen.

Tageblatt: In der Opposition sind Maximalforderungen locker möglich. Kann man Regierungsverantwortung für Grünen-Politiker generell mit "in der politischen Realität ankommen" bezeichnen?

François Bausch: Die Opposition spielt eine wichtige Rolle, von Kontrolle und Balance. Letzeres, damit in der Mehrheit keiner abhebt. Es ist ein gesundes Gleichgewicht. Aber Positionen muss man sich immer neu erkämpfen. Natürlich ist Opposition einfacher, es sind keine Kompromisse nötig. Das macht einen in der Regierung auch manchmal nervös. Aber so läuft das "Spiel" halt. Ich zitiere hier gern Joschka Fischer, der das gut formuliert hat: "Innen grün, außen Minister." Minister ist man für sein Land, da muss manches zurückstehen. Man wird ja auch nie - niemand wird es - zu 100% gewählt.

Das ist Demokratie. Aber Politiker müssen dies auch so ausfüllen. Nicht nur opportunistisch und sich nach dem Wind drehend, sondern konsequent und couragiert. Aber man muss auch ein Ohr für die 100% haben. Und nur ein Idiot ändert seine Meinung nie, man muss auch auf die Menschen hören. Wenn "Regierungen unterwegs Anpassungen vornehmen, ist dies also durchaus normal.

Tageblatt: Die Aufregung um die fixen Radare oder auch den Turbo-Kreisverkehr scheint abgeebbt. Gibt's was Neues?

François Bausch: Bei den Radaren ist das passiert, was vorausgesagt wurde und wie man es auch aus dem Ausland kennt. Zwei Drittel der Bevölkerung stehen dahinter, haben es satt mit Rowdytum und zu vielen Todesopfern im Straßenverkehr. Es war eine Gewöhnungssache, auch dank der Sensibilisierung hat sich alles "eingependelt". Man kann eine allgemeine Beruhigung des Verkehrs feststellen, das bestätigt uns auch die Polizei: die Geschwindigkeiten gehen runter. Der psychologische Effekt ist also da. Man achtet nicht nur dort, wo Radare stehen besser auf seine Geschwindigkeit, sondern überall. Bilanz wird wie angekündigt nach einem Jahr gezogen.

Was das Bezahlen der Strafen angeht, so tun sich ungefähr ein Drittel eher schwer damit... Hier werden wir noch eine Anpassung im Gesetz vornehmen: Aus den "kleinen" Strafen, bis 49 Euro und ohne Punktverlust, werden wir rein administrative Strafen machen, ohne dass die Gerichte impliziert werden. Beim "rappel" wird der Betrag dann aber gleich verdoppelt.

Auch in diesem Bereich, was die "Straßensicherheits-Kultur" angeht, wurde in Luxemburg zu lange gewartet. Dabei ist das alles nicht überraschend, wir sind alle nur Menschen und machen alle Fehler.

Zum Turbo-Kreisverkehr auf Kirchberg: er funktioniert - und er ist noch nicht mal ganz fertig. Auch der "Irrgärtchen" soll so umgebaut werden. Was bleibt, ist zu viel Verkehr, v.a. zu Spitzenstunden ... das hatten wir ja bereits (...). Das Zusammenspiel Berufsverkehr/öffentlicher Transport muss besser werden.

Tageblatt: Themawechsel: Wo steht das Landesplanungsgesetz? Sie wollten es noch vor dem Sommer auf den Instanzenweg bringen?

François Bausch: Es ist jetzt im Parlament eingereicht, ich hoffe, dass es bis zum Frühling verabschiedet ist. Was die Leitpläne angeht, laufen derzeit die "Strategischen Umwelt-Prüfungen" (SUP), das sollte bis Oktober fertig sein. Bis November wird die Regierung ihre Visionen vorlegen. (Bei der letzten Frage geht Bausch näher auf diese ein; Anm. d. Red.)

Tageblatt: Riskiert das Gesetz nicht in einen "Stau" zu kommen? Der Regierungsrat verabschiedete in seiner letzten Sitzung am 29. Juli 13 Gesetzestexte, es ist noch immer keiner davon auf www.chd.lu verfügbar. Was schlägt der Transportminister vor?

François Bausch: Es ist halt Sommer und Ferienzeit. Auch in den Verwaltungen. Dazu bedarf es für den "depôt" ja auch der Unterschrift des Großherzogs. Die Steuerreform, das Gesetz über Ausschreibungen etc. Parlament und Staatsrat werden sich in der Tat nicht über Arbeit beklagen können. Aus meinem Ressort liegt ein Text schon ein Jahr beim Staatsrat. Dieser ist extrem technisch, das war schon im Ministerium hoch kompliziert... aber es geht nur um die Umsetzung einer EU-Direktive, eigentlich also Null-Brisanz.

Vielleicht müsste man das Personal beim Staatsrat aufstocken? Sieht man sich z.B. den Personalbestand des Parlaments in den 1990ern und heute an, das ist ja nicht mehr zu vergleichen. Die Mitglieder des Staatsrats sind ehrenamtlich; vielleicht wären mehr Mitarbeiter zum Zu-Arbeiten hilfreich. Und derzeit sind wirklich sehr viele komplizierte Gesetzestexte unterwegs.

Tageblatt: Sie hatten das Gesetz über die N3 bereits erwähnt (...), das trotz allem 106 Millionen Euro an Ausgaben bedeutet. Vom "dépôt" bis zur Abstimmung im Parlament verging ein Monat... irgendwie scheint es ja doch "möglich", wie erklären Sie das dem "Otto Normalwähler"?

François Bausch: Für den Staatsrat ist so ein Gesetz "sehr einfach": Es ist ein Finanzierungsgesetz, das oft nur einen Artikel enthält, nämlich dass das Parlament der Regierung grünes Licht für das besagte Projekt gibt.

Ansonsten hängt es natürlich auch von der parlamentarischen Kommission ab, und ich muss sagen, die Kommission für Nachhaltigkeit ist sehr fleißig. Von meiner Seite aus versuche ich, dass die Dossiers so komplett wie möglich sind, und ich versuche auch, in jede Sitzung der Kommission zu gehen, um Erklärungen liefern zu können.

Tageblatt: Was derzeit sehr schnell vorangeht, und Sie hatten es bereits erwähnt, sind u.a. die Baustellen für Standseilbahn und Tram...

François Bausch: Hier ist definitiv alles im Plan, alle Schienenprojekte gehen sehr schnell. Auch die Verdopplung der Bahnlinie Richtung Sandweiler beispielsweise, obwohl auch dies eine sehr komplizierte Baustelle ist. Die CFL gibt 2016 rund 100 Millionen Euro mehr aus als geplant... aber nicht zusätzlich! Sondern einfach nur, weil das Timing viel schneller als geplant ist. Die CFL macht im Moment eine extrem gute Arbeit.

Tageblatt: Was die Tram angeht, so scheint auch hier die Kritik abzuebben.

François Bausch: (lächelt) Das Schwierigste war definitiv, das Gesetz durchzubringen. In der ersten Hälfte 2014 gab es sehr viel Druck und heftige Kritik. So ein Projekt wie die Tram liegt oft bei 50:50, was Zustimmung und Ablehnung angeht. Wenn es dann läuft, wächst auch die Zustimmung. Es wird greifbar und sichtbar, wir liegen zudem im Zeitplan und im Budget. Zusammen mit den geplanten "pôles d'échange" sowie P&R wird alles verständlicher. Die Tram ist ja nur ein Puzzlestück. Die Tram braucht die anderen Projekte rundherum, und ohne das Rundherum nützt die Tram rein gar nichts. Das wird jetzt nach und nach verstanden. Es kommen auch immer mehr zur Einsicht, dass es nicht anders geht, dass eine Lösung her muss. Ich bin überzeugt, dass die Tram zusammen mit dem "Funiculaire" ein Riesen-Erfolg wird.

Tageblatt: Wie laufen die Planungen für den sog. Zukunftstisch im November? Steht das Datum fest? Gab es vielleicht schon spontane Stellungnahmen, Angebote für Mitarbeit?

François Bausch: Die Regierung hat einen Plan für Luxemburg. Was die Landesplanung angeht, so ist dies nur ein Teil davon. Mobilität, Wohnungsbau etc., das muss alles unter einen Hut gebracht werden. Es wird mehr Einwohner geben, trotzdem wollen wir mehr Lebensqualität.

Dazu kommt dann die Frage: welches Wirtschaftswachstum wollen wir? Hier wird der "Rifkin-Report" Aufschluss geben. Dieser wird in der dritten Novemberwoche öffentlich diskutiert, der Zukunftstisch findet eine Woche zuvor statt. Außerdem wird es eine Studie geben über "was kostet ein Arbeitsplatz", auch der Finanzminister wird Elemente hinzusteuern. Alles zusammen ergibt dies eine Gesamtvision für Luxemburg, eine positive Vision mit Perspektiven fürs Land. Die Regierung hat diese Vision, wir arbeiten schon lange daran, schon drei Jahre, und die letzien Details werden nun ausgearbeitet. Wir haben uns nicht treiben lassen.

Was Mitarbeit angeht, so gab es bei Rifkin viele offene Arbeitsgruppen. Bei der Landesplanung wurden Gemeinden und Zivilgesellschaft bereits angehört. Öffentliche Beteiligung gab es also bereits, Oktober-November wird nun ein "Höhepunkt" werden, wenn unsere Vision "raus" ist. Der Premierminister wird im Herbst dazu Stellung nehmen, es wird auch eine Debatte im Parlament geben.

Was meinen Teil angeht, so kann ich nur wiederholen: Wenn wir gut planen, wenn wir anders planen und ohne die Fehler der Vergangenheit, dann brauchen wir keine Angst zu haben.

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