Interview von Xavier Bettel mit dem Trierischen Volksfreund

"Ich warne vor Politikern, die einfache Antworten geben"

Interview: Trierischer Volksfreund (Bernd Wientjes)

Trierischer Volksfreund: Herr Bettel, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sieben Jahre nach ihrem letzten offiziellen Staatsbesuch heute erneut zu Gast in Luxemburg. Zum ersten Mal empfangen Sie die Bundeskanzlerin. Was werden die Themen sein, die Sie mit Frau Merke! besprechen werden?

Xavier Bettel: Ich freue mich sehr, Frau Merkel in Luxemburg begrüßen zu dürfen. Deutschland und Luxemburg sind enge Verbündete, gute Partner, und uns verbindet mehr als nur eine gemeinsame Landesgrenze. Der Besuch von Frau Merkel in Luxemburg soll für die Bundeskanzlerin auch ein Besuch bei Freunden sein. Wir werden uns sicherlich über die Zukunft Europas unterhalten, über die Herausforderungen der nächsten Jahre. Bilaterale Themen werden ebenfalls eine Rolle spielen. Immerhin ist Deutschland unser größter Handelspartner.

Trierischer Volksfreund: Es heißt, Sie hätten ein herzliches Verhältnis zu Frau Merkel. Wie kommt das? Das heißt, Sie dürfen die Bundeskanzlerin duzen?

Xavier Bettel: Ich verstehe mich in der Tat sehr gut mit Frau Merkel. Sie besitzt eine der wichtigsten Qualitäten für Politik, nämlich die, zuhören zu können. Ich schätze dies sehr und wir tauschen uns auch regelmäßig über ernste - und gelegentlich über wenige ernste Themen aus. Wie ich Frau Merkel anrede, werde ich nicht preisgeben...

Trierischer Volksfreund: Wie würden Sie das deutsch-luxemburgische Verhältnis bezeichnen? Gut, oder war es schon mal besser?

Xavier Bettel: Ich würde das Verhältnis zu unseren deutschen Nachbarn als exzellent bezeichnen. Deutschland und Luxemburg pflegen sehr freundschaftliche Beziehungen, und dieses nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene. Offen gesprochen, wenn man sich die lange Geschichte zwischen Luxemburg und Deutschland ansieht, glaube ich, waren die Beziehungen noch nie von so viel Freundschaft geprägt wie in diesen Jahren des beginnenden 21. Jahrhunderts.

Trierischer Volksfreund: Also sind Sie wunschlos glücklich, was das deutsch-luxemburgische Verhältnis angeht?

Xavier Bettel: Ich wäre froh, wenn wir in den nächsten Jahren die öffentlichen Transportwege, Schiene und Bahn, zwischen unseren beiden Ländern ausbauen könnten, zum Vorteil unserer Bürger. Das Zusammenwachsen der Großregion liegt mir am Herzen, auch unter Einbeziehung unserer belgischen und französischen Freunde.

Trierischer Volksfreund: In Deutschland steht Frau Merkel ja enorm unter Druck wegen der Flüchtlingsfrage. Wie beurteilen Sie das?

Xavier Bettel: Die Zeiten, in welchen man abends einfach nach Haus schreiten konnte, wenn im Mittleren Osten ein grausamer Krieg herrschte, sind leider im Zeitalter der Globalisierung vorbei. Die Flüchtlingskrise des Sommers 2015 war eine Zäsur. Die Krise wurde Europa von außen aufgezwungen, und wir standen vor einer humanitären Notsituation. Ich erinnere nur an die Bilder der Tausenden von Flüchtlingen am Budapester Hauptbahnhof, oder auf der Autobahn zwischen Wien und Budapest. In dieser Hinsicht war der Sommer 2015 einer der dramatischsten Momente der europäischen Nachkriegsgeschichte.

Trierischer Volksfreund: Hat Merkel bei dem Thema Fehler gemacht?

Xavier Bettel: Außergewöhnliche Ereignisse verlangen auch außergewöhnliche und mutige Entscheidungen. Auf jeden Fall war es eine sehr humane Entscheidung. Ansonsten steht es mir nicht wirklich zu, die Entscheidungen der Bundesregierung und von Frau Merkel zu kommentieren. Nur so viel, Luxemburg hat versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten die Entscheidung zu unterstützen.

Trierischer Volksfreund: Was bedeutet die Flüchtlingskrise für Europa?

Xavier Bettel: Die Flüchtlingskrise ist eine europäische Krise und Herausforderung und hat, glaube ich, auch das Bewusstsein der Menschen für europäische Solidarität gestärkt, gerade vielleicht auch wegen dieser offenen gesellschaftlichen Diskussion. Es nützt keinem etwas, wenn die Mitgliedsstaaten der EU aus rein innenpolitischen Beweggründen jeweils eigene und unterschiedliche Lösungen vorschlagen.

Trierischer Volksfreund: Wie bezeichnen Sie den derartigen Zustand Europas? Droht ein Zerfall der EU? Stichwort: Brexit.

Xavier Bettel: Es stimmt; Europa hat bereits bessere Zeiten erlebt und steht vor großen Herausforderungen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es Europa nicht schlecht geht. Sicher war 2016 kein einfaches Jahr für die EU, es war ein Jahr mit Divergenzen und ich hätte mir öfters gewünscht, dass einige Mitgliedsländer mehr Solidarität gezeigt hätten. Gerade jetzt braucht Europa ein Maximum an Solidarität, um die großen Herausforderungen zu meistern, vor denen die Union steht. Eine Gefahr des Zerfalls sehe ich jedoch definitiv nicht.

Trierischer Volksfreund: Welche Zukunft hat Europa?

Xavier Bettel: Es gibt keine Alternative zu Europa, also sehe ich Europa nicht in Gefahr. Ich bin jedoch der Meinung, dass eine Vergrößerung in nächster Zeit nicht ansteht und dass Europa wieder näher an die Bürger heranrücken muss. Europa braucht sich nicht neu zu erfinden, sondern muss sich neu ausrichten. Daran arbeiten wir.

Trierischer Volksfreund: Welche Rolle spielt Luxemburg in Europa? War die Rolle schon mal bedeutender?

Xavier Bettel: Wir sind einer der Gründerstaaten und eines der europafreundlichsten Länder Europas. Die Rolle Luxemburgs war immer die eines Dieners und Vorreiters der gemeinsamen Sache der Europäischen Union. Luxemburg ist neben Brüssel und Straßburg eine der drei EU -Hauptstädte. Ich denke, dass wir eine wichtige Rolle in der EU spielen und oft Gehör bei den andern Mitgliedern finden und vermitteln können. In vielen Bereichen war Luxemburg Vorreiter. So zum Beispiel beim freien Personen- und Warenverkehr, den Luxemburg gemeinsam mit Belgien und den Niederländern im Rahmen des Benelux-Verbunds bereits 1958 eingeführt hat. Auch heute sind wir eine treibende Kraft und werden auch als solche angesehen.

Trierischer Volksfreund: Wenn über Europa gesprochen wird, dann kommt nicht selten Ihr Außenminister Asselborn auch in Deutschland zu Wort. Warum melden Sie sich nicht öfter mal zu europapolitischen Fragen?

Xavier Bettel: Das tue ich doch gerade... Jean Asselborn ist dienstältester Außenminister der EU, und ich schätze seine Erfahrung sehr. Ich bin völlig ausgelastet damit, Politik für die Bürger in Luxemburg zu machen.

Trierischer Volksfreund: Einhergehend mit dem islamistischen Terror macht sich zunehmend Rechtspopulismus in Europa breit. Sehen Sie darin eine Gefahr?

Xavier Bettel: Ich beobachte den zunehmenden Rechtspopulismus in Europa mit Sorge. Der Begriff Populismus ist jedoch in meinen Augen verharmlosend. Man muss das Kind beim Namen nennen. Wenn ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen einer religiösen Minderheit in einem Land und terroristischen Anschlägen, dann ist das nicht nur populistisch, sondern auch demagogisch, rechtsextrem und volksverhetzend. Wir müssen mit aller Konsequenz dagegen vorgehen.

Trierischer Volksfreund: Und wie?

Xavier Bettel: Ich kann die Menschen nur warnen vor Politikern, die einfache Antworten auf komplizierteste Fragen geben, Antworten, die zwar größtenteils jeder Grundlage entbehren, aber anschaulich klingen. Die Welt war und ist kompliziert, und die Politik der einfachen Antworten ist meistens eine Politik der Marktschreierei. Politik heißt Verantwortung tragen und Verantwortung tragen heißt, Antworten auch auf komplizierte Fragestellungen zu geben. Ich werde nicht müde, den Menschen meine Antworten, so kompliziert diese am Anfang auch wirken mögen, zu erklären.

Trierischer Volksfreund: Bislang ist Luxemburg von islamistischen Anschlägen verschont geblieben? Wie groß sehen Sie die Gefahr durch Islamismus für Ihr Land?

Xavier Bettel: Luxemburg ist keine Insel; dessen müssen wir uns bewusst sein. Es besteht allerdings momentan, nach Einschätzung unserer Sicherheitsdienste, keine direkte Gefahr und es gibt keine präzise Bedrohung. Prävention ist die beste Antwort auf den Terrorismus. Auch dürfen wir uns nicht von einer hypothetischen Gefahr einschüchtern und uns in unserer Lebensweise einschränken lassen.

Trierischer Volksfreund: Wird es auf Dauer ein grenzenloses Europa geben? Sehen Sie das Schengen-Abkommen in Gefahr?

Xavier Bettel: Der freie Personenverkehr und somit ein Europa ohne Grenzkontrollen ist eine der größten Errungenschaften der EU und erleichtert unser tägliches Leben ungemein. Diese Errungenschaft abschaffen, wegen der islamistischen Terrorattacken, hieße, sich in die Geiselhaft von Fanatikern zu begeben. Wir müssen im europäischen Schengenraum Mittel und Wege finden, die gemeinsame Sicherheit zu stärken.

Trierischer Volksfreund: Trotzdem wird immer wieder über stärkere Grenzkontrollen diskutiert.

Xavier Bettel: Ich zweifle stark daran, ob systematische Grenzkontrollen an der deutsch-luxemburgischen Grenze oder an anderen Orten den Kampf gegen den islamistischen Terror nachhaltig stärken könnten. Erinnern Sie sich doch mal an die Zeiten zurück, als die Bürger gelegentlich stundenlang an der Grenzbrücke in Grevenmacher oder in Remich am Schlagbaum anstanden, während Zöllner den Kofferraum durchsuchten. Stellen sie sich vor, die deutschen Pendler müssten sich täglich dieser Prozedur unterziehen. Für mich ist ein Zurück zu diesen Bedingungen undenkbar. Die Lösung liegt an den Außengrenzen der EU und an einer verstärkten Sicherheitszusammenarbeit im Inneren.

Trierischer Volksfreund: Gerade erst wurde der Mindestlohn in Luxemburg erhöht, der Index, mit dem automatisch die Löhne und Gehälter angepasst werden, ist um 2,5 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen die Preise im Großherzogtum vor allem im Immobiliensektor.

Xavier Bettel: Sie begehen gerade einen Denkfehler. Weil die Preise in Luxemburg steigen, wurde der Mindestlohn erhöht, und sämtliche Löhne und Gehälter dem Index angepasst.

Trierischer Volksfreund: Luxemburg hat in den vergangenen Monaten vor allem Schlagzeilen durch, sagen wir mal, fragwürdige Steuerpraxis gemacht, die Großkonzerne bevorteilt hat. Räumt Luxemburg Großkonzernen weiter Steuervorteile ein? Gerade erst ist ja herausgekommen, dass dem französischen Energiekonzern Engie bis zu 300 Millionen Euro auf diese Weise geschenkt wurden.

Xavier Bettel: Ich möchte darauf hinweisen, dass fast alle EU-Mitgliedstaaten, inklusive Deutschland, derartige Vorbescheide mit Firmen abschließen. Auch möchte ich unterstreichen, dass diese Bescheide nie geheim waren und schon längere Zeit von jedem Mitgliedstaat angefragt werden konnte[n]. Dies wurde jedoch nur eingeschränkt getan. Wie sie wissen, wurde unter luxemburgischer EU-Präsidentschaft der obligatorische und automatische Informationsaustausch zu Steuervorbescheiden ausgehandelt, der seit dem 1. Januar in Kraft ist.

Trierischer Volksfreund: Apropos Steuern: Noch immer gilt ja Luxemburg als Steuerparadies. Wie lange will das Land an diesem zweifelhaften Ruf festhalten?

Xavier Bettel: Wie kommen Sie zu dieser Behauptung, oder sollte ich Unterstellung sagen? Luxemburg steht seit 2015 weder auf einer grauen noch einer schwarzen oder irgendeiner Liste der Steuerparadiese. Abschaffung des Bankgeheimnisses, Fatca-Abkommen mit den USA, neues Verhältnis zwischen Mutter- und Tochterunternehmen, Austausch über Tax-Rulings sind nur einige der Bemühungen, die meine Regierung unternommen hat, um von diesen Listen gestrichen zu werden.

Trierischer Volksfreund: Luxemburg hat gerade den Vorsitz der Großregion übernommen. Wie bezeichnen Sie den Zustand der Großregion?

Xavier Bettel: Die politische Zusammenarbeit verläuft exzellent, und nicht nur im Rahmen der Großregion, sondern auch bilateral. So finden regelmäßig gemeinsame Kabinettssitzungen zwischen meiner Regierung und der Regierung aus Rheinland-Pfalz oder dem Saarland statt. Nicht sehr glücklich sind wir momentan in der Großregion über die geplante Einführung der PKW-Maut in Deutschland. Derartige Instrumente tragen nicht zur grenzüberschreitenden Integration im Rahmen der Großregion bei.

Das komplette Interview auf: www.volksfreund.de/luxemburg

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