Rede von Premierminister Jean-Claude Juncker zum Thema "Wir brauchen Europa" im Congress Casino in Baden (Niederösterreich)

Sehr verehrter Herr Landeshauptmann, sehr verehrte Frau Pröll, Frau Bundesaußenministerin, meine sehr verehrten Herren Botschafter, liebe Kollegen aus Parlament und Regierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, und für viele von Ihnen darf ich sagen – und habe damit auch nicht gerechnet, dass sie hier wären – liebe Freunde.

Wann immer man eine Rede hält, gehört es zum schicken Umgangston, dass man sagt, man hätte sich auf das Kommen sehr gefreut. Nur selten stimmt diese Aussage. Aber heute Abend stimmt sie wirklich, weil ich mich darauf gefreut habe nach Niederösterreich zu kommen, im Übrigen auch nach Österreich.

Erwin Pröll stattete mir im November 1999 einen Besuch ab. Es gibt zwischen uns so etwas wie spontane Freundschaft, weil so oft sind wir uns noch nicht über den Weg gelaufen bevor wir uns zueinander bekannt haben. Deshalb bin ich froh, einen Gegenbesuch in Niederösterreichisch machen zu dürfen.

Mein Problem ist nur, dass ich auf dem Weg von Stockholm nach Wien und dann nach St. Pölten und Baden irgendwann gelesen habe, mir stünden für diese Rede, die eine Einlassung sein soll, eine Stichwortgebung, zwanzig Minuten zur Verfügung. Das reicht in der Regel, um meine Einleitung zu einer Rede vorzubereiten. Deshalb weiß ich überhaupt nicht, wie ich mit dieser Enge des zeitlichen Rahmens überhaupt hier umzugehen habe. Sie werden das erleben - und es ist durchaus zulässig - dass irgendwer irgendwann mit der Gabel gegen das Glas klopft, damit es in meinen Ohren so klingt, dass ich weiß: jetzt ist Schluss! Aber noch ist es nicht soweit.

Ich bin gerne nach Niederösterreich gekommen. Ich finde, dass in diesem Bundesland Wichtiges passiert und passieren wird, sich Wichtiges auch schon vollzogen hat. Niederösterreich ist eine aufstrebende Region, nicht nur im österreichischen Rahmen sondern überhaupt im europäischen Rahmen. Viele, die vor zehn, fünfzehn Jahren Niederösterreich nicht genau auf der europäischen Landkarte zu ordnen wussten, wissen heute wo Niederösterreich liegt. Die niederösterreichischen Zahlen, Fakten, vor allem aber Menschen, sprechen für sich. Man reist gerne irgendwo hin, wo irgend etwas passiert, wo Menschen auf dem Weg sind. Und die Menschen hier in Niederösterreich sind auf vielen Wegen unterwegs.

Das Thema, das ich heute Abend zu behandeln habe, heißt „Wir brauchen Europa“. Und manch einer wird sich denken: „Wieso redet man über Selbstverständlichkeiten?“ Ich finde, eine Selbstverständlichkeit ist Europa nicht – und die Europäische Union auch nicht.

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Wir sind müde geworden ob der vielen europäischen Erfolge, merken wir nicht mal mehr, reden auch kaum noch über das, was wir gemeinsam in Europa auf den Weg gebracht haben. Man muss schon – die Jüngeren unter uns – in Geschichtsbüchern blättern, um verstehen und nachempfinden zu können, wieso und weshalb wir das tun was wir tun. Die Älteren unter uns wissen es noch aus eigener Erfahrung. Diese Generation der Mitte, die ich noch für eine kurze Zeit darstellen darf, weiß eigentlich noch aus den Erzählungen ihrer Eltern, wie das war als alles anders war als es heute ist.

Mein Vater war im Zweiten Weltkrieg deutscher Soldat. Deutsche Truppen besetzten Luxemburg und die jungen Luxemburger, die zwischen 1920 und 1927 geboren waren, mussten in die Wehrmacht. Sie wurden - wie wir sagen - „zwangsrekrutiert“. Junge Männer, die ihre Dörfer verlassen mussten, um eigentlich mit der Waffe in der Hand gegen die Nationen anzutreten, die dabei waren, das Land, aus dem sie kamen, von der deutschen Besetzung zu befreien. Da ist vieles hängen geblieben in diesen gebrochenen Biographien, und unsere Väter haben den Fehler gemacht – er ist nachvollziehbar – nicht sehr oft darüber zu erzählen. Aber man sollte daran denken, dass nichts geschenkt wird, und dass alles, was ist, hart erkämpft werden musste – und auch daran denken, dass wir, die wir zur Siegergeneration in dem Sinne gehören, eigentlich nichts selbst wirklich tun mussten, damit die Dinge besser werden; dass die, die zur Generation unserer Eltern gehörten, die eigentlichen europäischen Helden sind, weil sie aus den Schützengräben zurück, jeder in sein Heimatland zurückkehrend, zum ersten Mal in der europäischen Geschichte Ernst machten mit dem Satz, den man nach jedem Krieg sagt, nämlich dass es nie mehr Krieg geben soll.

Viele, die heute auf der Sonnenseite des Lebens leben, denen die Sonne und der Brand auch manchmal nicht sehr gut tut – weil es brennt so, dass das Denken manchmal aussetzt – sollten daran denken, dass wir der Generation unserer Eltern sehr viel verdanken, nämlich das Wichtigste, was es in Europa gibt und was zu Europa eigentlich strukturell nicht gehört, nämlich Frieden. Deshalb wurde Europa aus der Taufe gehoben. Deshalb haben viele – nicht nur Politiker, sondern Männer und Frauen, ganze Völker – sich nach 1945 auf den Weg gemacht, der dorthin führte, wo wir heute sind. Wer denkt, damit wäre die Sache erledigt, wer sich vorstellt, diese alten Dämonen hätten die europäischen Wälder und Täler verlassen, der irrt sich. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Dämonen nur schlafen. Wenn sie wachgerüttelt werden von Populisten, von Demagogen, von Schlechtrednern, dann werden sie sich wieder in Bewegung setzen und genau dorthin zurückkehren, wo sie in nun mehr 50 Jahren europäischer Erfolgsgeschichte verbannt wurden. Deshalb gilt für die nächsten 50 Jahre genau das, was für die letzten 50 Jahre galt: Wir müssen etwas tun, damit der Frieden in Europa erhalten bleibt.

Es gibt mehrere Dimensionen bei dieser friedenserhaltenden Gesamtaufgabe. Es gibt den inneren Frieden der Europäischen Union. Er ist nicht wirklich bedroht, aber man stellt fest, dass die Völker, die in dieser Familie (die sich Europäische Union nennt) zusammen gefunden haben, eigentlich übereinander sehr wenig wissen. Das gilt nicht nur für Deutsche und Franzosen, die von sich behaupten, sie wüssten alles übereinander und sehr oft den Eindruck geben, es gebe noch Nachholbedarf. Ich sage immer, die wirkliche marginale Nützlichkeit Luxemburgs besteht darin, dass wir über Frankreich und die Franzosen mehr wissen als die Deutschen je über sie in Erfahrung bringen werden; und dass wir über die Deutschen unendlich mehr an Wissen angesammelt haben als die Franzosen, die mit viel (auch historischer) Fantasie ausgestattet sind, je über sie in Erfahrung bringen werden. Was für das deutsch-französische Verhältnis, dieses für Europa und europäische Fortschritte absolut unverzichtbar gebliebene Sonderverhältnis gilt, das gilt in größerem Maße noch für viele anderen. Wenn wir ehrlich sind: was wissen wir eigentlich über die inner-finnische Befindlichkeit? Nicht sehr viel. Was wissen wir über die Fragen, die in Griechenland nicht auf der Tagesordnung stehen, sondern vom griechischen Volk intensiv diskutiert und debattiert werden? Wir wissen darüber nicht sehr viel.

Das heißt, dass der Frage des kulturellen Austausches eine größere Bedeutung zukommen muss, als sie zur Zeit hat. Die Menschen, die sich sehr oft und sehr intensiv begegnen könnten, tun dies eigentlich nicht. Wissen über ein Land hat man nicht dann angesammelt, wenn man dieses Land per Flugzeug 14 Tage mit Devisen – wenigstens diese Perspektive entfernt sich – beglückt hat. Wer nicht zu Fuß durch eine Stadt geht, weiß von dieser Stadt nichts. Und wer nicht intensiv mit den Menschen in einem Lande redet, weiß von diesem Menschen auch nichts. In der Zeitung steht vieles – vieles an richtiger Information, vieles an zu Hinterfragendem. Information aber über die eigentlichen Menschen, über das, was wichtig ist im Leben der Menschen, steht nur sehr wenig in der Zeitung.

Also muss man Orte der Begegnung schaffen. Ein Land wie Niederösterreich, mit Last und Chancen europäischer Geographie reich eingedeckt, kann hier durchaus eine Mittlerrolle übernehmen und tut dies ja auch, vor allem in Richtung der neuen Demokratien in Ost- und Mitteleuropa, vor allem natürlich Mitteleuropa. Das ist die friedensstiftende Wirkung der Europäischen Union, die uns vieles gebracht hat trotz mancher Rückschläge, trotz Irrungen und Wirrungen, die es beim europäischen Zusammenschluss immer wieder gibt, trotz Meinungsverschiedenheiten, Unwissen und Unkenntnis über die Verhältnisse andernorts. Ich brauche ja hier mit Blick auf die jüngste europäische Zeitgeschichte in Österreich nicht besonders auszuformulieren, zu welchem Resultat denn derartiges Unwissen führen kann: Unwissen über Österreich, österreichisches Unwissen über Befindlichkeiten im restlichen Europa.

All dies gibt es, wird es immer geben. Die Stärke und die Kraft der Europäischen Union ist, dass man auch eine Seite umschlagen kann, aus Fehlern lernt, die die einen und die anderen begangen haben, und zu den eigentlichen Zielen europäischer Politik zurückfindet.

Aber diese friedensstiftende Wirkung der Europäischen Union müssen wir selbstverständlich nach Ost- und Mitteleuropa tragen; nicht in der Geisteshaltung des Eroberers – ich habe den Eindruck, wir sind in Ost- und Mitteleuropa willkommen – sondern mit dem festen Vorsatz dessen, der das durch das erreichte, angesammelte Erfahrenswissen einbringen möchte in eine größer gewordene, kontinentale Dimension. Für mich bleibt die Frage der Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa eine Frage von Krieg und Frieden. Nicht weil wir es mit Kriegslüsternen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zu tun hätten, sondern weil es so etwas wie eine kontinentale Gesetzesmäßigkeit in Europa gibt. Die Gesetzesmäßigkeit ist die, dass wenn Menschen dauerhaft ausgesperrt werden, dauerhaft destabilisiert werden, wir dann auch selbst destabilisiert werden können, weil wir die Türen zugesperrt haben. Deshalb ist jetzt die Zeit derjenigen angebrochen, die mutige Schritte tun müssen.

Ich bin für zügige Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten aus Ost- und Mitteleuropa. Übrigens auch mit Malta und Zypern. Man vergisst beide immer wieder, wenn es um den Beitritt oder um die Erweiterung der Europäischen Union geht. Aber ich bin gegen Verhandlungen im Galopp. Ich bin der Meinung, dass die Menschen hier wie dort ein Recht darauf haben, dass die Dinge, die für die Zukunft entworfen werden, nicht Worthülsen bleiben, nicht jetzt schon ausgelebte Träume, sondern dass wir durch kluges Verhandeln und durch kluges Aufeinanderzugehen die Möglichkeit schaffen, dass es den Menschen in den nächsten Jahrzehnten besser gehen wird, dass wir nicht dorthin zurückfallen, wo wir uns nach 1945 in Bewegung gesetzt haben.

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Dies bedeutet dann auch – ich weiß, dass dies ein Thema ist, das in Niederösterreich, aber auch sonst wo, sehr intensiv diskutiert wird – dass man beispielsweise mit Bezug auf die Regelung der Freizügigkeitsfrage der Arbeitnehmer zu vernünftigen Abschlüssen kommen muss. Ich bin sehr dagegen, dass man diese Frage überdramatisiert. Damit ist niemandem geholfen. Ich bin auch sehr dagegen, dass man auf Seiten der Europäischen Union so tut, als würde uns das Misstrauen den Kandidatenländern gegenüber in Angst und Schrecken versetzen. Misstrauen ist kein Fundament, auf dem man Großes wird aufbauen können. Aber wir müssen auf die Befindlichkeiten der Menschen hier Rücksicht nehmen und auch auf die objektive Zwangslage verschiedener Beitrittskandidaten.

Deshalb ist die Frage nicht so sehr, welche Übergangsfrist von ihrer Dauer her betrachtet wir in die Beitrittsverträge schreiben, sondern welche Durchführungsbestimmungen, welche Modalitäten diese Übergangsbestimmungen begleiten sollen. Die müssen sich auszeichnen durch Flexibilität und Anpassbarkeit in Bezug auf konjunkturelle Verwerfungen und auf arbeitsmarktpolitische Sonderlagen, die eintreten können. Wenn wir das mit gutem Willen und vertrauensvoll auf beiden Seiten angehen, wird es nicht ein Ding der Unmöglichkeit sein, hier sehr schnell zu zielorientierten, resultatsgebundenen Ergebnissen zu kommen.

Ich habe aus eigener politischer Erfahrung einzufügen, dass ich als junger, aufgeregter Mensch, als Staatssekretär im luxemburgischen Arbeitsministerium, später als Arbeitsminister – ich wäre das immer noch gerne, bin es aber leider nicht mehr – mit Portugal und Spanien Beitrittsverhandlungen zu führen hatte. Damals, 1983-84, gab es in Luxemburg 14 % portugiesische Mitbürger. Natürlich hat jeder gedacht, dass es durch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu einer massiven Bewegung portugiesischer Arbeitskräfte in Richtung Luxemburg kommen würde. Damals wurde eine Freizügigkeitsübergangsregelung von sieben Jahren zwischen der Europäischen Union, Portugal und Spanien ausgehandelt. Weil die Luxemburger so kompliziert und ängstlich waren, betrug diese zehn Jahre für Luxemburg mit Bezug auf den portugiesischen und spanischen Beitritt. Doch nach fünf Jahren haben wir diese Übergangsfrist – noch bevor die anderen ihre siebenjährige Frist überhaupt erreicht hatten – abgerufen, weil wir folgendes festgestellt haben: alles das, was zu befürchten war, ist überhaupt nicht eingetreten.

Wir denken immer, Menschen reagieren so, wie wir uns vorstellen, dass sie reagieren müssten. Menschen aber machen aber in der Regel das, was sie für sich selbst entscheiden. Und wenn die Menschen in Ost- und Mitteleuropa diese perspektivische Zukunftshoffnung entwickeln, dass sie, weil sie der Europäischen Union beitreten, in vielerlei Hinsicht ihre jetzige Lage verbessern können, dann wird es zu diesen Bewegungen überhaupt nicht kommen. Die Vorstellung, sie ganz auszuschließen, sie verhindern zu wollen, ist absolut uneuropäisch. Sie zu regeln ist absolut vernünftig.

Wenn man Europa baut, wenn man Europa weiterbringen möchte, gehört auch die Freizügigkeit mit zu den kostbarsten Gütern, die es in der Europäischen Union gibt. Ich darf von meinem Land sagen - es mag nicht typisch sein für andere - dass wir eine Einwanderungsquote von 34 % haben. Luxemburg ist ein hochindustrialisiertes, modernes Dienstleistungszentrum mit einem Ausländeranteil von 34 % und mit einem Ausländeranteil an den Arbeitsmärkten von über 50 %. Luxemburg verdankt den Italienern, Belgiern, Franzosen, und den Portugiesen unendlich viel.

Wir sind reicher geworden durch diese vielen Menschen, die zu uns gekommen sind. Nicht reicher im materiellen Sinne, sondern reich an Erfahrung, an internationalem Glücksgefühl (so etwas gibt es!), an Zusehen, wie andere leben, und wie andere sich auch in unsere Richtung verändern und beim Staunen darüber, wie sehr wir uns verändert haben durch die vielen, die aus der Ferne zu uns kamen.

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Es liegen also auch Chancen in der Zuwanderung. Allerdings muss sie so gestaltet werden, dass sie nicht, wenn sie einsetzt, als Bedrohung empfunden wird. Und deshalb ist das, was die österreichische Bundesregierung vorträgt und auch der niederösterreichische Landeshauptmann etwas, was nicht unverschämt ist, sondern was auf einer gesunden Einschätzung der Lage beruht. Ich möchte mich hier nicht auf sieben Jahre festlegen; aber dass es zu einer Übergangsfrist kommt und dass man diese Übergangsfrist so regelt, dass beide Seiten ihr Fundamentalinteresse in der Gesamtlösung wiederfinden, liegt für mich auf der Hand.

In diesem Europa, wenn es friedenstiftend bleiben soll, muss es auch zu einem geordneten Miteinander der verschiedensten, sich zusammensetzenden Nationen der Europäischen Union kommen. Es gibt große Länder und kleine Länder. Das kleinste Land hat sich zum Trost „Großherzogtum“ genannt, um besser mit diesem Sachverhalt durch die Geschichte zu kommen. Aber vor der Geschichte gibt es überhaupt keine Großen und Kleinen. Dort gibt es nur Länder, Nationen, die sich zu Recht auf sich selbst etwas einbilden. Ich möchte jetzt hier nicht in deutsche Innenpolitik ausrutschen und mich mit der Frage beschäftigen, ob man stolz oder nicht stolz sein soll, darf, sein kann, muss auf sein Vaterland, aber man muss es ja nicht unbedingt hassen. Man darf ja die Nähe mögen. Und zum modernen europäischen Patriotismus gehört beides: dass man gerne Niederösterreicher und Österreicher und gerne Europäer ist, und dass man gerne Luxemburger und Europäer ist und dass das kein Gegensatz in sich selbst ist.

Diese Antinomie hat Europa so viel Unglück gebracht, dass wir sie nie mehr in europäisches Denken einführen sollten. Große und Kleine müssen miteinander in dieser Europäischen Union leben, wobei die Großen sich manchmal schwer tun das Besondere an den Kleinen voll genießen zu können, und wobei die Kleinen manchmal allzu sehr erschreckt auf kleine Töne einiger Großen achten.

Man sollte zu einem souveränen Umgang mit sich selbst und mit den großen und kleinen Nachbarn kommen. Vor Nizza haben wir manchmal erlebt, dass etwas größere Flächenstaaten der Europäischen Union den Kleingebliebenen in Europa das Leben schwer machen wollten. Das ist zum Schluss der Gesamtveranstaltung dann so nicht gekommen, auch deshalb weil man in einigen Hauptstädten größerer Staaten einen Blick in Brehm’s Tierkunde geworfen hatte. Dort kann man lesen, dass ein Floh einen Löwen zum Wahnsinn treiben kann. Man kann dort nicht lesen, dass es jemals einem Löwen gelungen wäre, einen Floh zum Wahnsinn zu treiben. Insofern hat man sich aufgrund empirischer Erkenntnisse der Tierkunde dazu durchgerungen, bei dem harmonischen Miteinander von Groß und Klein zu bleiben.

Wir müssen uns also, wenn wir die Schritte in die Zukunft vorbereiten, wenn wir uns auf den Weg machen, die guten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in Europa vor Augen halten, um sie nicht an der Garderobe zum 21. Jahrhundert abzulegen. Und bei allem Missgut über vieles, was in Europa schief ist (der absolute Mangel an sozialem Europa, die Unterentwicklung der sozialen Dimension Europas) bei allem Unmut über steckengebliebene Reformziele wie gemeinsame Einwanderungspolitik oder gemeinsame Bekämpfung der internationalen Kriminalität, muss man sich auch über Dinge freuen können, die uns unwahrscheinlich gut gelungen sind.

Der Euro beispielsweise ist ein derartiges Beispiel: Der Euro, seine Einführung, die Vorbereitung seiner Einführung haben eigentlich gezeigt, dass die Europäer zu sehr großen Leistungen fähig sind, wenn sie an sich selbst glauben und sich nicht abhalten lassen von richtigen Wegen und richtig erkannten Zielen. Heute sind diejenigen, die den Euro vom Prinzip her schlechtreden, eigentlich Mangelware geworden in der europäischen Öffentlichkeit. Weil wir den Nuntius, den Herrn Bischof und die Äbte hier haben, möchte ich sagen, dass wenn die katholische Kirche so viele spät berufen hätte wie der Euro, dann gäbe es keinen Nachwuchsmangel.

Man muss also feste Ziele haben, sie unbeirrt durchsetzen, dann kommt man zum Ziel. Beifall spenden auch die, die sich eigentlich an der Reise überhaupt nicht beteiligt haben. Darüber sollte man sich freuen.

Freuen sollten wir uns auch, anstatt uns dauernd über die Last des Tages zu beklagen, anstatt mit leidender Miene durch die europäische Geschichte zu gehen. Wir, die wir es nur gut gehabt haben, in diesem Europa.

Freuen sollte man sich auch darüber – und das heißt ja in Niederösterreich etwas – dass der eiserne Vorhang weg ist, dass die Menschen wieder zueinander gefunden haben, dass europäische Geschichte und europäische Geographie wieder aufeinander zugewandert sind und sich wiedergefunden haben. Wien ist eine europäische Stadt – Brüssel, Luxemburg, Paris und London auch, aber Pressburg, Prag, Budapest und andere sind so europäisch wie wir. Mich ärgert der Satz, dass diese Menschen, die sich vom Kommunismus befreit haben – ohne dass wir viel dazu beigetragen hätten – sich jetzt auf dem Wege zurück nach Europa befinden würden. Das stimmt überhaupt nicht. Die hatten Europa noch nie verlassen, sie waren so europäisch geblieben, manchmal mehr, als wir das sind. Und deshalb, bei aller Notwendigkeit streng durchzuverhandeln, bei aller notwendigen Überprüfung gesetzter Ziele ist es so, dass wir die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts damit verbringen sollten, diese große europäische Chance zu nutzen, die darin besteht, dass Menschen, die zusammengehören, auch wieder zusammenfinden.

Ich höre die erste Gabel und mache Schluss. Vielen Dank.

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