Erklärung von Premierminister Jean-Claude Juncker zum Bankgeheimnis vor der Abgeordnetenkammer

Der deutsche Finanzminister und der französische Budgetminister haben für heute eine Sitzung in Paris einberufen, in Form einer Einladung an sämtliche OECD-Staaten, um über die mit den sogenannten Steuerparadiesen verbundenen Fragen zu diskutieren. (…) Es handelt sich um eine Einladung, die vor drei Monaten erfolgte und demnach nichts mit der derzeitigen Finanzkrise zu tun hat. Denn man muss wissen, dass das Thema Bankgeheimnis ein Dauerthema in Europa ist.

Wir haben in der Europäischen Union eine Einigung über die Besteuerung von Zinserträgen erzielt – unter schwierigsten Bedingungen. (…)

Die europäische Richtlinie über die Besteuerung von Zinserträgen hat dem Finanzplatz Luxemburg nicht im Geringsten geschadet, sondern dem Staatshaushalt vielmehr zusätzliche Einnahmen eingebracht. (…)

Die Luxemburger Regierung hat bereits vor zwei Monaten deutlich gemacht, sie werde an dieser Sitzung nicht teilnehmen, es sei denn die Ergebnisvorschläge für diese Sitzung seien so, dass wir damit leben könnten.

Nun sehen die Ergebnisvorschläge für diese Sitzung aber so aus, dass eine Gleichung aufgestellt wird zwischen Bankgeheimnis und Steuerparadies. Soweit wir diese Basishypothese nicht akzeptieren, haben wir nicht eingesehen, weshalb wir an dieser Sitzung hätten teilnehmen sollen, weil die Folge gewesen wäre, dass die Luxemburger Regierung heute Abend erklärt hätte, es sei eine interessante Sitzung gewesen, doch mit deren Ergebnissen seien wir nicht einverstanden. Da diejenigen, die diese Sitzung einberufen haben, seit Monaten wissen, dass wir mit den angedachten Ergebnissen nicht einverstanden sind, hielt ich es für richtiger, an dieser Sitzung nicht teilzunehmen. (…)

Wie stehen wir dazu, dass der französische Budgetminister Woerth den Vorwurf erhoben hat, dass wir uns auf Dauer der Abschaffung des Bankgeheimnisses nicht widersetzen könnten und dass stattdessen das System der Quellensteuer und des Informationsaustauschs die Abschaffung des Bankgeheimnisses widerspiegele.

(…) Wir haben in der Europäischen Union eine Einigung erzielt, wonach drei Länder – Österreich, Belgien und Luxemburg – keine Informationen austauschen und die anderen Länder kein Bankgeheimnis haben. Wir wollten unser Bankgeheimnis nicht aufgeben, damals nicht und auch heute nicht, und aus diesem Grund erheben wir eine Quellensteuer. Durch dieses Quellensteuersystem erhalten die umliegenden Staaten, aber auch solche, die weiter von uns entfernt sind, einen Teil der Einnahmen, die am Finanzplatz Luxemburg erzielt werden. (…)

(…) Zurzeit gilt bei uns eine 10-prozentige Quellensteuer für hier lebende und eine 15-prozentige Quellensteuer für im Ausland lebende Menschen. Diese wird allerdings schrittweise bis auf 35% steigen. Es bestand in Europa, als wir die Richtlinie über die Besteuerung von Zinserträgen annahmen, die allgemeine Ansicht, dass eine 35-prozentige Quellensteuer im Steuerfluchtbereich die gleiche abschreckende Wirkung habe wie die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Dahin kommen wir erst noch. Wir gelangen erst nach und nach dahin, weil wir nur damit einverstanden waren, uns als Luxemburg schrittweise auf diesen Weg zu begeben. An dem Tag, an dem die Quellensteuer 35% beträgt, ist die Quellensteuer mindestens ebenso abschreckend für Steuerflüchtlinge, wie das Bankgeheimnis attraktiv für Steuerflüchtlinge ist. Ich kann demnach auf den ersten Blick nicht erkennen, weshalb dieses Regelwerk geändert werden sollte.

Wir haben in der Europäischen Union eine Diskussion darüber, ob andere Finanzprodukte als diejenigen, die heute in den Anwendungsbereich der Richtlinie über die Besteuerung von Zinserträgen fallen, von diesem erfasst werden sollen. Dies ist eine Diskussion, an der wir uns beteiligen. Wenn man jedoch behauptet, wir könnten uns auf Dauer nicht dem Informationsaustausch, also der Abschaffung des Bankgeheimnisses entziehen, weil dies nicht den Wünschen und Erwartungen sowie dem positiven Recht der Europäischen Union entspreche, so ist dies eine falsche Behauptung. Wir befinden uns in einem sich entwickelnden Prozess, der durchaus ein Verhandlungsprozess war, der in eine positive Rechtsnorm gegossen wurde, an den wir uns halten und von dem wir erwarten, dass er auch von den Nachbarstaaten beachtet wird.

(…)

Ich habe mich mit dem französischen Premierminister und dem französischen Staatspräsidenten, weil wir uns ja dauernd sehen, nächtens und tagsüber, darüber unterhalten, ob sie in dem Punkt besondere Überlegungen über Luxemburg anstellten, und der französische Staatspräsident sowie der französische Premierminister haben mir gegenüber erklärt, dass sie, wenn sie über Steuerparadiese sprächen, nicht an Luxemburg dächten. (…)

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass das Bestehen von Bankgeheimnissen nicht ursächlich schuld an der Finanzkrise ist, die wir zurzeit erleben. Die Tatsache, dass wir in einzelnen Ländern in Europa ein Bankgeheimnis haben, ist nicht schuld daran, dass wir eine Finanzkrise haben. Die Tatsache, dass es durch das Bankgeheimnis an der Spitze zu einer sehr weit ausgedehnten Intransparenz der Finanzprodukte auf der Welt gekommen ist, diese Tatsache kann ich allerdings nicht bestreiten. Ich erkenne kein besonderes luxemburgisches Bemühen in diesem Zusammenhang. Wenn es Territorien gibt, auch in der Europäischen Union, auch die britischen Kanalinseln, die Produkte in die Welt gesetzt haben, die zur Intransparenz beigetragen haben, so trifft dies nicht so sehr auf uns zu wie auf andere. Das kann man nicht bestreiten. (…) Ergo müssen wir bereit sein, in der Europäischen Union, nicht in der OECD, in der Europäischen Union über Wege zu sprechen, um ein massives Ausnutzen des Weiterbestehens des Bankgeheimnisses an einzelnen europäischen Finanzplätzen zu verhindern.

(…) Der Vorstellung, dass das gesamte Finanzsystem der Welt zu ändern sei und dass sich nur in Luxemburg nichts ändern dürfe, kann ich mich allerdings nicht spontan anschließen.

Jedoch ist der Nachdruck, mit dem die Regierung das Bankgeheimnis gegen Argumente verteidigen will, die nicht mehr wert sind als die Argumente, die für das Bankgeheimnis sprechen, unvermindert groß. Es handelt sich um eine Diskussion, die wir mit unseren Partnern und Freunden in der Europäischen Union führen müssen und die wir führen. Luxemburg gibt nicht morgen früh das Bankgeheimnis auf, doch beteiligt sich Luxemburg an jeder Diskussion, die zu mehr Transparenz auf den Finanzmärkten beiträgt, und Luxemburg wird in dem Zusammenhang verlangen, dass alle Sondersteuern und -regelungen, die es sonst noch auf dem Territorium der Europäischen Union gibt, einer kritischen Prüfung unterzogen werden, die mindestens so intensiv ist, wie diejenige, der unser Bankgeheimnis unterzogen wird. Und Luxemburg wird ebenfalls darauf aufmerksam machen – wie wir das auch schon in den vergangenen sieben, acht Jahren getan haben –, dass andere Extras anderer Länder ebenso kritisch geprüft werden. (…)

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

26.10.2008