Laudatio von Jean-Claude Juncker, Premierminister von Luxemburg, auf den regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen

Fondation du Mérite européen Überreichung der Medaille in Gold an Eberhard Diepgen, regierender Bürgermeister von Berlin

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrter Herr regierender Bürgermeister, lieber Eberhard, sehr verehrte Frau Diepgen, meine Damen und Herren Staatssekretäre, Senatoren und Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren,

 Mein Problem ist ein doppeltes: Ich soll hier - so weist es das Programmheft aus - eine Laudatio von einer halben Stunde halten. Das ist ein ernstes Problem. Fontane hat gesagt, den Menschen, dem nach einer halben Stunde noch etwas Neues einfällt, gibt es nicht. Mein zweites Problem ist, dass die Laudatio, die talentierte, gut informierte Mitarbeiter mir vorbereitet haben, in meinem Hotel in Rom liegt in dem ich heute morgen noch verweilte. Das hat für Sie wiederum den Vorteil, dass ich wahrscheinlich keine halbe Stunde reden werde. Es hat allerdings den Nachteil, dass sie die wohl formulierten und gut durchdachten Sätze, die in der ursprünglichen Fassung der Laudatio standen, während dieser Rede endgültig nicht erreichen werden.

Ich bin froh - das sagt man fast immer wenn man irgendwo ist - in Berlin zu sein, aber hier stimmt es. Während meines Fluges von Rom nach Berlin ist wieder die Erinnerung an meine erste Reise nach Berlin wach geworden. Das war vor circa 25 oder 26 Jahren als junger Student. 1974/75 war eine Reise nach Berlin ein besonderes Erlebnis, weil dies keine normale Reise war. Mir sind unzählige Details in Erinnerung, kein einfache Anekdoten sondern Erinnerungsstücke, die zu meinem politischem Engagement im späteren, etwas erwachseneren Leben geführt haben. Wir waren zu dritt im Wagen und derjenige der gefahren ist ist heute mein Pressechef. Er ist übrigens auch heute anwesend. Deshalb war die Erinnerung heute im Flugzeug doppelt präsent. Wir haben debattiert, diskutiert, politisiert. Ich war damals schon, wie heute auch noch, deutlich auf der Linken meines Pressechefs anzutreffen und ich habe erklärt wieso und weshalb das, was uns da in Berlin erwarten würde auch einmal ein Stück europäischer Nachkriegsnormalität wäre. Von der Klugheit war ich schnell geheilt als wir unsere Strecke fortsetzten.

Wenn man heute nach Berlin fliegt, aus Rom kommend - am 28. September war ich hier aus Prag abfliegend - hat man nicht den Eindruck eine besondere Reise zu machen und genau das ist so besonders an diesen Reisen geworden. Mir fällt auf - in Berlin vielleicht weniger als sonst wo in der Bundesrepublik - dass eigentlich Nichtdeutsche noch merken, dass dieses „nicht Besondere“ so besonders an Berlin ist, dass eigentlich die Nachbarn der Deutschen sich an der deutschen Wiedervereinigung und über die deutsche Wiedervereinigung deutlich dauerhafter und mehr freuen als die Deutschen selbst. Ich versteh es nicht!

Deshalb ist eine Reise nach Berlin kein bedrückendes Ereignis mehr, sondern für den, der mit offenen Augen reist, mit den Menschen spricht, sehen kann, spüren kann, die überwältigenden Veränderungen fühlen kann, die diese Stadt und dieses Land erlebt hat, etwas sehr Wertvolles, etwas was man immer wieder als Geschenk empfinden sollte.

Nun gibt es zwischen Berlin und Luxemburg einige gemeinsame Streckenabschnitte europäischer Geschichte: als der neue luxemburgische Großherzog vor wenigen Wochen in dieser Stadt zu Gast war, haben Sie, Herr regierender Bürgermeister, auch daran erinnert, dass im 14. Jahrhundert hier luxemburgische Markgrafen ihr Wesen und wahrscheinlich auch ihr Unwesen trieben, dass sie den Berlinern und Brandenburgern ein neues Münzrecht gegeben haben und eigentlich von den Berlinern Geschichtsschreibern als Markgrafen eingeschätzt werden, die den Berlinern und den Brandenburgern eine glückliche Zeit beschert hätten. Markgraf bin ich nicht und zusätzliches Glück vermag ich auch nicht in dieser Stadt abzuladen, aber dass wir schon mal hier waren und wieder hier sein dürfen, das erfreut mich sehr.

Haut de page

Wenn ich daran denke, wann ich von Berlin zum ersten Mal gehört habe, fällt mir ein, dass das so mit fünf oder sechs Jahren der Fall war, um 1959/60. In den fünfziger und sechziger Jahren luden die Luxemburger, die im zweiten Weltkrieg schlimm gelitten hatten, immer wieder in den Sommermonaten Berliner Kinder nach Luxemburg ein - eine Geste von deren Existenz wahrscheinlich wenige Leute weder in Luxemburg noch in Berlin wissen. Über diese Berliner Kinder, deren Anwesenheit in Luxemburg mir bekannt wurde, habe ich die Berliner Trümmerfrauen kennengelernt, die um die Zeit wahrscheinlich schon nicht mehr sehr aktiv waren. Aber die Rede über die Berliner Kinder haben Vater und Mutter dazu gebracht, auch über Berliner Trümmerfrauen zu reden, die es heute ja nicht mehr geben würde, weil wahrscheinlich der Senat solange Genehmigungsverfahren in Gang setzen würde bevor die erste Hand angelegt werden dürfte, dass Berlin heute noch in Schutt und Asche liegen würde.

Die Luxemburger wie andere Europäer haben zu Berlin eigentlich ein sehr ambivalentes Verhältnis immer gehabt. Herr Prälat Heiderscheid hat darauf aufmerksam gemacht, weil Berlin für viele in Luxemburg, für viele in Europa während langer Jahre eigentlich eine „Unstadt“ war. Ich weiß noch sehr gut, als der Bundestag in Bonn den Beschluss fasste, die Hauptstadt, das Parlament und die Regierung nach Berlin zu verlegen (was wir im ersten Ansatz nicht so sehr mochten, weil es halt praktischer war ins Auto zu steigen und zwei Stunden später im Kanzleramt in Bonn zu sein, wenn man mit dem Bundeskanzler reden musste), haben wir uns aber über diese Wahl der Deutschen sehr gefreut.

Mein Vater war deutscher Soldat im Krieg, so wie Prälat Heiderscheid auch. Die jungen Luxemburger, die zwischen 1920 und 1927 geboren waren, wurden in die Wehrmacht zwangsrekrutiert und mussten in fremder Uniform gegen die Befreier des eignen Landes kämpfen. Daher brachten sie eigentlich mit der Stadt Berlin nur Unangenehmes in Verbindung. An dem Tag als der Beschluss gefasst wurde, Berlin zur Hauptstadt zu machen, hat mein Vater mir folgendes gesagt: "Ab jetzt gibt es nur noch gute Nachrichten aus Berlin!" Dieser Satz, gesprochen von einem Mann, der der Kriegsgeneration angehörte, stellt wahrscheinlich einen tieferen Einblick in Zusammenhänge, Zusammenläufe dar als ich je zu beschreiben fähig wäre.

Aus diesem ambivalenten Verhältnis vieler Europäer zu Berlin ist ein Verhältnis tiefer Freundschaft geworden, weil wir Berlin als deutsche Hauptstadt in der „Brückenbauer-Funktion“ in der Mitte Europas sehen. Unser heutige Preisträger ist der regierende Bürgermeister von Berlin und dies ist kein Zufall. Wie ist es möglich, dass 60 Jahre nach Beginn des zweiten Weltkrieges Berlin und Deutschland insgesamt heute nicht nur von seinen neun Nachbarn, sondern von allen Europäern als ein wertvoller Partner, als ein Freund in der Mitte Europas gesehen wird? Ganz einfach deshalb weil die Deutschen und die Berliner es verstanden haben aus den Irrungen und Wirrungen des letzten Jahrhunderts, aus dem Schrecklichen, das von Berlin ausgehend über Europa einbrach, die richtigen Lehren zu ziehen. Wenn die Lehren nicht hier gezogen worden wären, wer hätte sie dann ziehen können?

Als die Berliner Mauer fiel, als zusammenwuchs was zusammengehörte, als Ost und West sich wieder die Hand gaben, als es zur deutschen Wiedervereinigung kam, ist ja von diesen Vorgängen nichts Bedrohliches in anderen europäischen Ländern vermerkt, festgestellt oder befürchtet worden. Dies hat sehr viel mit der Lebensleistung nicht nur der Nachkriegs-Berliner sondern aller Berliner zu tun. Die Tatsache, dass Berlin nach dem zweiten Weltkrieg urdemokratisch regiert wird, die Tatsache, dass diese Stadt sich voll zu ihrer Internationalität bekannt hat, die Tatsache, dass diese Stadt eine Stadt mit offenen Armen war, auch eine ausländerfreundliche Stadt immer war, hat mit dazu beigetragen, dass die Europäer sich an der deutschen Wiedervereinigung zu freuen verstanden und hat mit dazu beigetragen, dass im Ausland weniger als in Europa die Rede ging von der Berliner Republik, ein Ausdruck, den ich nie vollumfänglich habe genießen können, weil ich den Ausdruck eigentlich für eine Redensart halte, die kein deutsches Ambiente beschreibt. Es wird diese Republik in diesem abgrenzenden Sinne nicht geben.

Haut de page

Sie, Herr regierender Bürgermeister, haben diese Stadt seit vielen Jahren fest im Griff. Sie regieren, wenn auch mit leichter Unterbrechung, aber Gott sei Dank nur kurzer, diese Stadt 16 Jahre lang. Berlin ist in der Welt, in Europa, aber nicht nur in Europa sondern auch in den Vereinigten Staaten ja sehr präsent. Berlin hat auch Ihr Gesicht und vor allem Ihr Gesicht, weil Sie in Europa und in der Welt der bekannteste Berliner sind, der einflussreichste Berliner sind, weil Berliner Bürgermeister immer auch und Sie in ganz besonderem Masse Akteure der Weltpolitik waren. Es gibt wahrscheinlich keine andere europäische Stadt, die beispielsweise unseren amerikanischen Freunde so nahe ist wie eben die Stadt Berlin. Es gibt keine andere europäische Stadt, in der so viel Symbolik und so viele Symbiose zusammenkommen wie in dieser Stadt.

Und deshalb ist der regierende Bürgermeister dieser Stadt, und wenn er Eberhard Diepgen ist, und wenn er diese Stadt so führt wie Sie das tun, ein fast normaler Preisträger der Stiftung des Mérite Européen. Und weil diese Stiftung nicht im Klein klein macht, hat sie treffsicher, zielorientiert sofort auch den Beschluss gefasst, die Auszeichnung in Gold zu verleihen, weil wir mit Bronze und Silber dieser Stadt und diesem Bürgermeister ohne jeden Zweifel nicht gerecht werden würden. Seit vielen Jahren sind Sie nicht nur regierender Bürgermeister in Berlin sondern auch jemand, der in der deutschen Christdemokratie und in der europäischen Christdemokratie sein Wort mitzureden weiß. Nicht jemand, der sich nur um seine Stadt kümmert (als ob dieses "nur" nicht schon etwas Übermenschliches, was die Arbeitsleistung anbelangt, von jemandem abverlange), sondern immer auch jemand, der versucht hat seine Stadt in der Mitte Europas unterzubringen, Berlin nicht empfindet als ein Stück zwischen Europa sondern als eine Stadt, die Brücken baut in Europa. Weil wir in Europa Brückenbauer brauchen und weil wir Brückenbauer auch kenntlich machen möchten, weil es uns darauf ankommt uns auch gemeinsam mit Brückenbauern über das gemeinsam Erreichte freuen zu können, wird Ihnen, lieber Eberhard Diepgen, diese Auszeichnung heute zuteil.

Sie belohnt ein Stück Ihres Lebensweges und verpflichtet Sie und andere auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wir sind ja mit der europäischen Aufgabe nicht am Ende angekommen. Es hat ja noch niemandem größere Befriedigung bei der Betrachtung seiner selbst eingebracht, wenn er das Ende der Geschichte dekretiert hatte. Dies wurde im gesamtkontinentalen Zusammenhang schon einmal versucht, dies ging schief, und dies sollte man auch mit Blick auf die Weiterentwicklung der Europäischen Union tunlichst unterlassen.

Wir sind mit der europäischen Aufgabe noch nicht am Ziel angelangt. Zur Zeit arbeiten die Regierungen der Mitgliedstaaten, viele andere außerhalb der Regierungen, intensiv an der Vorbereitung der Regierungskonferenz, die in Nizza zum Abschluss gebracht werden soll. Dort wird es um die Reglung einiger Fragen gehen, die man geregelt haben muss um der Erweiterung der Europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa mit ruhigem Blick und ruhiger Hand entgegensehen zu können. Es geht um die Effizienzsteigerung der Entscheidungsfindung in der Europäischen Union, es geht um den Versuch möglichst oft mit Mehrheit im Rat, in Europa abstimmen zu können, uns nur noch möglichst selten mit dem schwerfälligen Instrument der einstimmigen Entscheidungsfindung plagen zu müssen. Es geht um die Größe und den Zuschnitt der Kommission und es geht um die Stimmengewichtung im europäischen Ministerrat. Wir denken alle, das wären empfindliche Fragen und wahrscheinlich sind sie es auch.

Die wichtigste Aufgabenstellung auf dem Weg ist eine Verständigung, die die Regierungen darüber erzielen müssen, wie wir denn über den Umweg der verstärkten Zusammenarbeit dort zu mehr Europa kommen können, wo weniger Europa eine Gefahr für den Kontinent wäre. Es wird in Nizza so sein, dass wir uns Regeln an die Hand geben, die uns erlauben so in der europäischen Weiterentwicklung weiterzukommen, dass wir nicht durch diejenigen gebremst werden, die das europäische Rad möglichst zurückdrehen möchten. Die Frage findet erstaunlicherweise weniger öffentliche Beachtung als die nachgeordneten Fragen der Größe der Kommission, der Stimmengewichtung usw.

Haut de page

Ich weiß, dass es auch hier in Deutschland viele gibt, die der Auffassung sind, es würde Europa und der europäischen Kommission selbst gut tun, wenn diese Europäische Kommission weniger Mitglieder hätte als es Mitgliedstaaten in der Europäischen Union gibt, weil ein kleineres Team von Kommissaren effizienter, wirksamer arbeiten könnte als eine Kommission, in der jedes Mitgliedsland mit einem Kommissar vertreten wäre.

Wir teilen diese Auffassung nicht, weil wir eben der Meinung sind, dass um diesen Brüssler Tisch herum, an dem Initiativen monopolartig entstehen (die Brüssler Kommission hat das Initiativmonopol in der Europäischen Union), jedes Mitgliedsland vertreten sein muss Das heißt, dass wir uns durchaus vorstellen können - wenn auch mit Schwierigkeiten, das gebe ich gerne zu - dass wir eines Tages 27 Kommissare am Brüssler Tisch sitzen haben werden. Wer denkt, dass wir ungenügend auf die Befindlichkeit der Beitrittskandidaten achten, wer denkt, man könnte den Polen, den Tschechen, den Slowenen, Ungaren, Esten, Letten und vielen anderen erklären, sie wären jetzt Mitglied der Europäischen Union geworden, aber dort, wo europäische Politik weiter geschrieben wird, hätten sie ihren Platz nicht, sondern dort würden andere sitzen, der hat sich nicht mit der eigentlichen Stimmungslage im mittleren und östlichen Teil Europas vertraut gemacht.

Und deshalb wird es so sein, dass auch in Zukunft jedes Mitgliedsland einen Kommissar nach Brüssel entsenden wird und Stimmenneugewichtung im Rat muss selbstverständlich sein. Wenn wir uns aber in ein Europa von über 20 Mitgliedsstaaten zubewegen wird es nicht anders möglich sein Europa entscheidungsstark in den nächsten Jahrzehnten weiterwachsen zu lassen, wenn wir nicht zu einer Stimmenneugewichtung im Rat kommen.

(...) Die wenigsten Luxemburger wissen, dass Luxemburg über zwei Stimmen bei Abstimmungen in Brüssel im Ministerrat verfügt und Deutschland über zehn. Wüssten die Luxemburger das, wären diese stolz, wüssten die Deutschen das, würden sie an den Gesetzen der Mathematik und der Proportionalität endgültig zweifeln, weil es jedem klar ist, dass Deutschland mehr als fünf mal grösser ist als Luxemburg. Aber dies ist halt das Spezifikum der europäischen Erfolgsgeschichte: dass wir es geschafft haben seit Ende des zweiten Weltkrieges grosse und kleine Mitgliedstaaten miteinander an einer gemeinsamen grossen europäischen Ambition arbeiten zu lassen. Dieses Stimmenverhältnis ist ein Instrument das gewinnbringend eingesetzt werden kann, wenn die europäische Union sechs, zehn, fünfzehn Mitgliedstaaten hat. Wird sie 27 oder über 20 Mitgliedstaaten haben, wird es nicht möglich es bei dieser Stimmengewichtung zu belassen. Deutschland braucht also ein deutlich stärkeres Gewicht und wird seinen relativen Vorsprung auf Luxemburg weiter ausbauen müssen. Damit haben wir auch überhaupt kein Problem. Aber es kann nicht so sein, dass man versucht die Einflusssteigerung der grossen Flächenstaaten der europäischen Union so zu gestalten, dass die kleinen und mittleren Staaten der europäischen Union als gestaltende Akteure der europäischen Union ausfallen.

Meine Erfahrung ist, seit nunmehr zwanzig Jahren Regierungsmitgliedschaft, dass es auch keinen Widerspruch gibt, nicht mal einen Gegensatz zwischen grossen und kleinen Mitgliedstaaten in der europäischen Union. Ich habe an keiner einzigen Abstimmung in Brüssel anlässlich einer Ministerratsitzung teilgenommen wo auf der einen Seite des Tisches die vier grossen Mitgliedstaaten zu einem gewaltigen Sprung in die europäische Zukunft hätten ansetzen wollen, wo auf der anderen Seite des Tisches die Meute der kleinen Wadenbeisser die grossen beim Sprung behindert hätten. Es war sehr oft einigermassen umgekehrt und es ist nicht so, dass die vier grossen Mitgliedstaaten der europäischen Union spontan, automatisch ein und derselben Auffassung wären, wenn es um zukunftsweisende europäische Fragen geht. Sehr oft brauchen Grosse um miteinander klarzukommen einige Kleinere am Tisch, die ehrliche Maklerdienste und Vermittlungsangebote leisten oder unterbreiten können. Wer denkt Europa würde besser zusammenwachsen, wenn kleinere und mittlere Mitgliedstaaten aus ihrer Rolle als Mitgestalter der kontinentalen Geschicke ausschreiten, der wird sich sehr wundern, wenn wir auf eine europäische Union zusteuern würden in der Direktoriumsfunktionen durch die Grossen wahrgenommen würden. Die Kleinen wissen dass sie kleiner sind als die Grossen und die Grossen sollten nicht denken, dass sie den Kleinen jeden Tag erklären sollten, dass sie kleiner sind, weil das ist eine der Erkenntnisse, die in unserer Wiege lagen. Deshalb brauchen wir diesen Hinweis nicht permanent.

Im übrigen sollte man nicht denken, dass man auf die Kleinen verzichten kann. Die Kleinen sollten nicht denken, sie könnten die Grossen behandeln als ob sie kleiner wären. Wer versucht einen Löwen dazu zu bringen von einem Floh nicht verrückt gemacht zu werden, der wird scheitern. Wer aber versucht, einen Löwen dazu zu bringen einen Floh verrückt zu machen, der wird auch scheitern. Deshalb wäre es gut, wenn Grosse und Kleine miteinander in einem sehr geordneten Verhältnis leben würden.

Haut de page

Diese Fragen wird man auf dem Weg nach Nizza und in Nizza selbst klären, damit die europäische Union beitrittsfähig, erweiterungsfähig für andere wird. Mich betrübt sehr – obwohl es mich nicht sehr wundert – dass die Erweiterung der europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa eines der unpopulärsten politischen Unterfangen ist, die wir je in Angriff genommen haben. Wir sollten unsere Energie darauf verwenden, den Menschen zu erklären wieso es notwendig ist, dass die jungen Demokratien in Ost- und Mitteleuropa zur europäischen Union stossen, wieso wir – aus eigenem Interesse heraus – vitales Interesse an der Erweiterung der europäischen Union haben.

Das waren schöne Zeiten als wir uns den Luxus leisten konnten Sonntag morgens bei politischen Grossveranstaltungen den Menschen in Ost- und Mitteleuropa zuzurufen, sie sollten sich nur des Kommunismus entledigen und sie wären jederzeit willkommen in der europäischen Demokratiefamilie. Als diese Menschen dann an unsere Tür klopften wurden plötzlich die professionellen Bedenkensträger aktiv und erklären jetzt wieso und weshalb es eigentlich besser wäre, wenn alles so bliebe wie es ist. Man wurde nicht müde nach Veränderungen in der Welt zu rufen und jetzt wo die Veränderungen uns ereilen, hätten wir am liebsten diese Veränderungen hätten nie stattgefunden. Wieso denkt man Warschau, Budapest, Sofia, Ljubljana wären keine europäischen Städte? Das sind europäische Städte so gut wie Rom, wie Berlin, wie Luxemburg. Und deshalb müssen wir uns auf diese Erweiterung der europäischen Union vorbereiten. Daher die Regierungskonferenz in Nizza. Daher auch die Notwendigkeit den Menschen zu erklären, dass, wenn wir als Mitglieder der europäischen Union die Demokratien in Ost- und Mitteleuropa nicht stabilisieren, werden wir eines Tages von diesen destabilisierten Staaten in Ost- und Mitteleuropa destabilisiert werden. Daher ist es in unserem gemeinsamen Interesse und ist es unser gemeinsamer Auftrag dafür zu sorgen, dass auch hier zusammenwächst was zusammengehört.

Wir sollten uns darüber freuen, dass wir es erleben dürfen, dass europäische Geographie und europäische Geschichte wieder deckungsgleich werden. Dies heisst nicht, dass ich einer Erweiterung im Galopp das Wort reden würde. Ich bin durchaus der Meinung, dass durchverhandelt werden muss, was durchverhandelt werden muss, damit man sieht wo die Probleme liegen, damit man nicht aus oberflächlichen, dem Zeitgeist angepassten Gründen schnell etwas vorzieht was man sich besser im Detail überlegt hätte. Ich bin nicht der Meinung, dass wir jetzt Europa auf ein Gleis stellen sollten auf dem nur noch Schlafwagen unterwegs sind. Nein! Europa braucht Tempo. Auch die Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa braucht Tempo aber kein Galopp! Deshalb sollten wir uns ernsthaft darum bemühen, die Dinge nicht nur beim Namen zu nennen, die Dinge nicht nur zu thematisieren sondern die Probleme auch zu lösen.

Ich sehe auch in deutschsprachigen Ländern unterwegs viele die eigentlich zum Thema Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa nur über Risiken und Nebenwirkungen zu berichten wissen. Es gilt – wie das beim Euro auch schon der Fall war – der Satz, dass wer in kontinentalen Angelegenheiten keine Risiken eingehen möchten das grösste Risiko eingeht. Man muss mit Herz und Verstand auf die Menschen in Ost- und Mitteleuropa zugehen, denen wir eigentlich dankbar sein sollten, dass sie kurz nachdem sie ihre Souveränität, ihre Autonomie, ihre Unabhängigkeit wiederentdeckt hatten, sofort bereit waren Teile dieser wiederentdeckten Souveränität sofort in der europäischen Union aufgehen zu lassen.

Wie schlimm wäre Europa eigentlich geworden, wenn alle Nationalstaaten nur noch Nationalstaaten wären, die alten und die neuen die dazu gestossen sind. Deshalb sollten wir gemeinsam mit den Menschen in Ost- und Mitteleuropa an dem gemeinsamen Europa arbeiten. Berlin ist die Stadt, wo dies besser verstanden wird als anderswo in Europa, weil Berlin die Stadt war die die Teilung des Kontinentes mehr als nur versinnbildlicht hat. Die Teilung Europas war in dieser Stadt physisch spürbar. Dass das Brandenburger Tor nicht mehr das Symbol für Teilung ist sondern dass man im Brandenburger Tor das Symbol des zusammenwachsenden Europas heute erkennen kann ist Beleg dafür, dass das europäische Gedankengut in dieser Stadt gut aufgehoben ist.

Der regierende Bürgermeister steht für dieses weltoffene, auf Europa zugewandte Berlin, für eine deutsche Hauptstadt, die in der Mitte Europas das zusammenbringt was zusammengehört. Ein Dienst an dieser Stadt ist auch und immer ein Dienst an Europa. Wer Verdienste hat um diese Stadt und wer keinen Widerspruch duldet zwischen dem was Berlin betrifft, zwischen dem was Deutschland betrifft und dem was Europa betrifft ist ein würdiger Preisträger dieser Stiftung. Ich darf deshalb auch im Namen der Luxemburger Regierung dem diesjährigen Preisträger danken für das was er für diese Stadt gemacht hat, danken auch für das, was er für sein Vaterland gemacht hat dessen Stellung er immer sah als ein Miteinander mit den europäischen Nachbarn. Deutschland war uns noch nie ein so guter Nachbar wie dies zur Zeit der Fall ist. Daran haben die Berliner und daran hat der regierende Bürgermeister der Berliner grossen Anteil. Ich darf herzlich glückwünschen.

Dernière mise à jour